Das Fach Geschichte
Wer das Wort Geschichte hört, hat sofort eine Vorstellung von dem, was das sein soll. Aber als Bezeichnung für ein Unterrichtsfach in der gymnasialen Oberstufe kann das nicht stimmen, wird der nächste Gedanke sein. Das ist falsch. Das Fach Geschichte hat eine ganze Menge mit Geschichten zu tun, die erzählt werden können. Bei genauerem Hinsehen, hat alles seine Geschichte, und damit ist auch alles, was es überhaupt gibt oder jemals gab, Thema für einen Geschichtswissenschaftler oder Historiker. Und vieles davon ist spannend oder rätselhaft:
- Der Adler auf den deutschen Euro-Münzen geht auf das Römische Reich zurück; aber was hat Deutschland mit dem Römischen Reich, vielleicht sogar mit Caesar zu tun?
- Kaum jemand weiß, dass es ziemliche Verwirrung bei Kalenderdaten geben kann:
-die Oktoberrevolution von 1917 fand am 7. November statt,
-den 10. Oktober 1582 hat es nie gegeben,
-der Hundertjährige Krieg dauerte von 1337 bis 1453, also 116 Jahre,
-vom Jahre 10 vor Christus bis zum Jahre 5 nach Christus sind nur 14 Jahre vergangen. - Wer weiß schon, dass Schneewittchen eine hessische Grafentochter der frühen Neuzeit (um 1530) gewesen sein könnte?
- Oder wer weiß, dass die Geschichte des Rattenfängers von Hameln auf das Hochmittelalter um 1200 zurückgeht?
Die letzten beiden Beispiele sind zwar Märchen, aber wie gesagt, für den Historiker ist alles interessant. Und so märchenhaft interessant ist auch der Geschichts-Unterricht in der Oberstufe.
Die Zeiten, in denen Geschichte stures Auswendiglernen von Daten und Herrschernamen war, sind schon lange vorbei. Aber wir dürfen uns nichts vormachen, ganz ohne wird es auch schwierig. Wer anfängt, Dortmund auf einer Karte von Afrika zu suchen, hat es in Erdkunde genauso schwer, wie jemand, der in Geschichte Bismarck, Merkel und Hitler nicht in die richtige zeitliche Reihenfolge bringen kann. Das muss man aber nicht unbedingt alles am Anfang der Oberstufe können. Wir wollen hier ja auch noch ein bisschen unterrichten können, und die Schülerinnen und Schüler kommen ja nicht direkt zur Abiturprüfung hierher, sondern sollen in den knapp drei Jahren auch noch etwas lernen können.
Wer sich mit unseren Abiturientinnen und Abiturienten aus den Leistungs- oder Grundkursen in Geschichte unterhält, wird beeindruckt sein. Die aktuellen Ereignisse aus den Fernseh-Nachrichten oder den Zeitungen werden als Teil und Ergebnis eines langen geschichtlichen Prozesses verstanden. Hinweise von deutschen und ausländischen Politikern auf frühere Vorkommnisse oder "alte Ansprüche" werden automatisch auf Wahrheitsgehalt, dahinter verborgene tatsächliche Interessen und mögliche Gegenargumente geprüft. Was heute hier und sonst auf der Welt passiert, wird wesentlich besser verstanden und in einen größeren Zusammenhang eingeordnet, als zu Beginn des Geschichtsunterrichts in der Oberstufe.
Genau das sollen und wollen wir auch erreichen. Wer sich mit Geschichte beschäftigt, kann Aktuelles besser oder überhaupt erst verstehen. Nur wer weiß, wo er herkommt, weiß auch, wo er ist und wo er hinkommen kann. Das ist ein Teil des sogenannten "historischen Bewusstseins", das in der Oberstufe geweckt und entwickelt werden soll.
Auf dem Weg zu diesem historischen Bewusstsein arbeiten die Schülerinnen und Schüler an Texten, Bildern und Sachen, die ihnen die Vergangenheit näher bringen und möglichst lebendig werden lassen. Wir besuchen Museen und Schauplätze der Geschichte, um besser zu verstehen, was und wo es war. Wir machen Planspiele, bei denen die Teilnehmer selbst zu Akteuren der Geschichte werden und über Krieg und Frieden, Bündnis und Feindschaft, Demokratie oder Diktatur usw. entscheiden müssen, um besser zu verstehen, wie und warum es so war. Wir vergleichen Entwicklungen und Ereignisse in Deutschland mit denen in Polen, Italien, Russland, der Türkei und anderen Ländern oder schauen uns gezielt deren Geschichte an, um besser zu verstehen, ob und wie es auch anders hätte kommen können. Wir prüfen ständig, wo die Spuren dieser Vergangenheit auch heute noch zu sehen oder wirksam sind. Und die Jugendlichen sind immer wieder aufs Neue überrascht, dass sie ständig und überall von Geschichte umgeben sind und jetzt erst allmählich immer mehr und besser verstehen, warum unsere Welt heute so ist, wie sie ist.